
Vor 100 Jahren fand in Bretten eine Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung statt, die ihresgleichen suchte und die Stadt nachhaltig prägte
Vom 19. bis 27. September 1925 – und damit vor exakt 100 Jahren – veranstalteten die Stadtgemeinde und der landwirtschaftliche Bezirksverein Bretten eine Landwirtschafts- und Gewerbeausstellung.
Neun Tage Programm, inklusive historischem Festzug, Unterhaltung und Sportdarbietungen sowie Kunst und Kulinarik hatte Bretten bis zu diesem Zeitpunkt in der Form noch nicht erlebt; zudem hatten die Macher der Ausstellung gerade mal ein halbes Jahr Vorlaufzeit. Wie konnte eine Stadt mit damals gerade mal knapp 6.000 Einwohnern diese Großveranstaltung in Zeiten der Hyperinflation meistern? Was hat diese Veranstaltung gebracht?
Eine Ausstellung als Gemeinschaftswerk
Die landwirtschaftliche Gewerbeausstellung von 1925 war nach 1896 die erste große Leistungsschau ihrer Art, die in Bretten veranstaltet wurde. Dank eines breiten Bündnisses aus Verwaltung, Landwirtschaft, Gewerbe, Handel und Industrie sowie eines städtischen Garantiefonds in Höhe von 5.000 Reichsmark konnten die Vorbereitungen innerhalb von nur sieben Monaten erfolgreich abgeschlossen werden. Da Bruchsal erst 1924 eine Kraichgau-Gewerbeausstellung präsentiert hatte und die „Eppinger Woche“ erst drei Monate zuvor stattgefunden hatte, war zu befürchten, es würden nicht allzu viele Interessierte nach Bretten kommen. Ein Grund zur Sorge?
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Allein bis zum 25. September 1925 waren über 20.000 Besucher erschienen. Dieser Erfolg spiegelte sich auch im Zitat „Wir haben es geschafft – wir sind am Ziel“ aus der Eröffnungsrede von Bürgermeister Schemenau wider.
160 Aussteller aus Bretten, den heutigen Stadtteilen und der näheren Umgebung – darunter rund 100 Handwerksbetriebe, davon 60 in ihren jeweiligen Innungen, präsentierten ihre Produkte auf einer Ausstellungsfläche von über 25.000 Quadratmetern.
Ausstellungsorte waren die Volksschule, die Gewerbeschule, die alte Turnhalle an der Weißhoferstraße sowie der Festplatz, der sich vom Simmelturm bis zum TV-Platz erstreckte und der große Saal im Gasthaus Zur Stadt Pforzheim.
Von der Landwirtschaft zur Industrie – ein zeitgenössischer Querschnitt
Zu jenem Zeitpunkt verstand sich Bretten sehr wohl noch als Landstadt, aber nicht weniger als Industriestadt, die sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte. Das gedruckte Verzeichnis der unterschiedlichen Aussteller führt aus Industrie und Gewerbe 126 Firmen auf, die vor allem aus Bretten und der näheren Umgebung kamen. Im neuen Volksschulgebäude (1910 errichtet), wurden Erzeugnisse aus Handel, Handwerk und Industrie gezeigt, von Haushaltswaren über Fahrzeuge bis zu Maschinenanlagen.
Ein Highlight waren die technischen Neuentwicklungen. Regionale Firmen wie Gillardon & Gai, Johann Jost, Kramer & Kramer und Gaus und Karl Gerweck zeigten technische Innovationen und modernste Werkstatteinrichtungen. Aber auch große Chemiefabriken wie die Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF) oder die Deutsche Kalisyndikat GmbH warben auf der Ausstellung mit innovativen Düngemitteln. Auch der Gartenbauverein Bretten und die Landwirtschaftskammer Augustenberg waren vertreten. Während in der Gewerbeschule, die sich damals im Innenhof des heutigen Melanchthon Gymnasiums befand, eine beeindruckende Sammlung von Lehrlings- und Gesellenarbeiten präsentiert wurde, diente die Turnhalle zur Ausstellung von Produkten aus Brettener Herstellung.
Das Rahmenprogramm – Ein Fest für alle Sinne
Ein besonderer Publikumsmagnet war der historische Festzug am Sonntag, 20. September, der mit über 70 Gruppen und geschmückten Wagen durch die Stadt zog. Trotz Regens säumten Tausende die Straßen, um „Urgroßvaters Zeiten wieder aufleben zu lassen“. In den Beständen des Stadtarchivs Bretten sind nur wenige Fotografien dieses Festzugs erhalten geblieben, die der Brettener Fotograf Friedrich Mühlich exklusiv im Auftrag der Stadt für die Nachwelt festgehalten hatte. Auf dem Marktplatz wurde „Heimatliebe“ aufgeführt, ein Theaterstück von Albert Geisel über die Belagerung Brettens 1504.
Ein Sängerfest des Kraichgauer Sängerbunds, sportliche Wettbewerbe des TV Bretten, darunter ein Radballspiel auf eigens dafür gefertigten Fahrrädern, und eine spektakuläre Schauübung der Freiwilligen Feuerwehr am Marktplatz ergänzten das vielseitige Programm. Die Abende endeten häufig mit Musik und Tanz; nicht selten blieben die Gäste und Besucher bis in die frühen Morgenstunden. Für eine besondere Atmosphäre sorgten im Stadtpark beleuchtete Papierlaternen in den badischen Landesfarben Gelb und Rot sowie ein bengalisches Feuer.
Unterhalb des Saalbachs bot der Festplatz ein Tanzboden sowie Bierzelte für die Gastronomie mit regionalen Spezialitäten und dem beliebten „Sinner- Bier“, das damals der Schweizer Hof in Kommission zur Verfügung stellte. Zur Belustigung trat im Bierzelt ein Humorist des „Tegernsee Bauerntheaters“ auf.
Werbung, Mobilität und touristische Selbstvermarktung
Schon damals setzten die Veranstalter auf moderne Werbung: Ein farbiges Plakat, das der Kunstmaler Hugo Bickel entworfen hatte, wurde großflächig verbreitet. Dasselbe Motiv gab es auch im kleinen Format als Ansichtskarte, 10.000 Stück wurden angefertigt und über Brettener Händler vertrieben (siehe Bild links unten; Foto: Stadtarchiv Bretten). Es wurden Gedenkmünzen geprägt, zwei Sonderbeilagen der Gewerbeschau im „Brettener Tagblatt“ beleuchteten die wirtschaftliche und landwirtschaftliche Situation der Region; ergänzt durch zahlreiche Anzeigen lokaler Betriebe. Ein gedruckter Ausstellungskatalog und ein Veranstaltungsprogramm informierten die Besucher. Im Kino liefen landwirtschaftliche und gewerbliche Filme. Auch die Anbindung war vorbildlich organisiert: Sonderzüge der Reichsbahn und eigens eingerichtete Omnibuslinien brachten Besucher aus Karlsruhe, Pforzheim, Maulbronn
und anderen Städten nach Bretten.
Eine Weltausstellung im Kleinen
Was Bürgermeister Otto Karl Schemenau in seiner Eröffnungsrede als „kleine Weltausstellung“ bezeichnete, war mehr als eine Leistungsschau mit Festprogramm. Es war ein Symbol des Aufbruchs, der Zusammenarbeit und des wirtschaftlichen Selbstbewusstseins einer ganzen Region. Für den letzten Tag der Ausstellung war eine feierliche Beleuchtung des Marktplatzes geplant, die damals durch die Anwohner finanziert und durchgeführt werden sollte. Allerdings wurde dieser Programmpunkt wegen anhaltenden Regens auf den 4. Oktober verschoben.
Schon ein halbes Jahr später wurde Bretten angefragt, ob es sich nicht dem Fremdenverkehrsverein anschließen wolle, doch Bürgermeister Schemenau vertagte den Beitritt angesichts der anhaltenden schlechten wirtschaftlichen Lage, so dass Bretten erst 1928 beitrat. Im darauffolgenden Jahr erschien Bretten zum ersten Mal in einem eigenen Reiseführer. Insgesamt hatte die die neuntägige Gewerbeschau 47.000 RM gekostet und wurde durch Einnahmen wie Ticket-Erlöse in Höhe von rund 43.600 RM nahezu gedeckt. In den neun Tagen kamen schätzungsweise mehr als 60.000 Besucher nach Bretten.
Durch die Landwirtschaftliche Gewerbeausstellung hatte Bretten nicht nur sein touristisches Potential entdeckt, sondern auch erstmals Formate wie den historischen Festumzug eingeführt, der sich in abgewandelter Form als fester Bestandteil des Peter-und-Paul-Festprogramms etablierte.
Der Brettener Unternehmer Franz Harsch formulierte in seiner Rückschau treffend: „Wenn auch ursprünglich keine Lust zum Ausstellen war, durch einmütiges Zusammenarbeiten wurde ein Bild von der hiesigen Industrie gezeigt, das selbst manchem Einheimischen fremd war“.
Text & Idee
Alexander Kipphan & Catherine Fournell, Stadtarchiv Bretten
Veröffentlicht am 19.09.2025