Das Porträt gibt der Reformation ein Gesicht

Die Kunsthistorikerin Maria Lucia Weigel bereitet das große Ausstellungsprojekt „Reformatoren im Bildnis“ für 2016 vor

Wie sieht es aus, das Gesicht der Reformation? Im Brettener Melanchthonhaus kann man sich tatsächlich davon ein Bild machen. Nicht nur die großen Reformatorenstatuen in der Gedächtnishalle geben uns eine Vorstellung von der Physiognomie der Repräsentanten der bedeutenden historischen Bewegung, auch in der Sammlung von Gemälden, Grafiken und Münzen im Bestand der Einrichtung lässt sich einiges darüber erfahren: Hier finden sich Abbilder des hageren Melanchthon, des fülligen Luther, Calvins oder Zwinglis, aber auch weniger bekannte Vertreter der Reformation.
Vor rund zehn Jahren hat die Heidelberger Kunsthistorikerin Dr. Maria Lucia Weigel den gesamten Grafikbestand des Melanchthonhauses gesichtet und katalogisiert. Im Vorfeld des Reformationsjubiläums 2017 bereitet sie das Projekt „Reformatoren im Bildnis“ vor, das von Juni bis Dezember 2016 in Bretten die Veranstaltungen zum Gedenkjahr einläuten wird. Erstmals wird dann die ganze Gedenkstätte zum Präsentationsort, schließlich sind alle historischen Räume von dem Gedanken durchdrungen, die Reformation und die damit eng verbundenen Personen für den Besucher erfassbar zu machen. Die üppige druckgrafische Sammlung mit Porträts wird den Schwerpunkt des Ausstellungsunternehmens bilden. Sie ist von Dr. Maria Lucia Weigel zwar inventarisiert, doch bislang keineswegs wissenschaftlich erschlossen. 
Für diese publikumswirksame Maßnahme konnten von der Europäischen Melanchthon Akademie (EMA) drei Geldgeber gewonnen werden. An erster Stelle steht dabei der Bund, der aus dem Ressort der Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters aus den Mitteln zum Reformationsjubiläum die Hälfte des Gesamtbetrages beisteuert. Hinzu kommen maßgebliche Zuwendungen der Baden-Württemberg Stiftung und solche der Stadt Bretten.
Im Rahmen von Refo 500, der internationalen Plattform zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums, vertritt Dr. Maria Lucia Weigel die EMA in einem kunsthistorischen Arbeitskreis, wo sie beim nächsten Treffen in Kürze in Bologna Einblicke in ihre Arbeit geben wird. Der Wunsch des Direktors der EMA, PD Dr. Günter Frank, ist es, vor dem Jahr des Reformationsgedenkens 2017 die Fülle von Trägern der reformatorischen Bewegung vorzustellen und damit den Blick zu weiten.
Dr. Maria Lucia Weigel kann an Hand der Bestände des Melanchthonhauses nahezu aus dem Vollen schöpfen. Die Sammlung verfügt über Reformatorenporträts aus der Zeit vom 16. bis 19. Jahrhundert, also über eine Zeitspanne von rund 300 Jahren. Diese bietet bereits einen wunderbaren Überblick. Doch die Kunsthistorikerin strebt dabei - über eine chronologische Übersicht hinaus – eine sogenannte „diachrone“ Untersuchung an. Darunter versteht sie die Betrachtung der Veränderung einmal geschaffener Bildnistypen über die Zeiten hinweg. Sie fragt aber auch nach den unterschiedlichen Orten der Entstehung der Bildnisse und dem jeweils politischen Kontext.
Ein treffliches Beispiel für Veränderungen in der Reformatorendarstellung hat sie bereits ausgemacht: Albrecht Dürers Melanchthon-Porträt auf dem berühmten Kupferstich von 1526, das den Universalgelehrten im Profil zeigt, wurde mehrfach nachgeahmt.
Von Melanchthon gibt es  - so die Erkenntnis von Dr. Maria Lucia Weigel – verschiedene Darstellungsformen: Man begegnet ihm mal als Brustporträt, mal als Ganzfigur, frontal, dann oder eher im Halbprofil. Calvin dagegen ist fast ausschließlich von der Seite dargestellt. Grund dafür sei eine unterschiedliche Auffassung der Bilderfrage im Calvinismus gegenüber dem Luthertum. „Das Frontalbild erinnerte zu sehr an Heiligendarstellungen und wurde deshalb von den Calvinisten vermieden“, erklärt Dr. Maria Lucia Weigel.
Eine Fülle weiterer Fragen werfen sich auf, die noch zu beantworten sind: Warum etwa gibt es keine Darstellungen von Reformatorinnen unter den Blättern im Melanchthonhhaus? Damit meint die Kunsthistorikerin nicht Bildnisse der Weggefährtinnen von Reformatoren, etwa Luthers Katharina von Bora, sondern Frauen die ihren ganz persönlichen Beitrag zur Reformation geleistet haben. Sie nennt Katharina Zell, die in Straßburg wirkte. Bei ihren Recherchen und Reisen durch Bibliotheken in ganz Deutschland will sich Maria Lucia Weigel nun auf die Suche machen, um die Lücken der Brettener Sammlung durch hochkarätige Exponate für die Ausstellung zu ergänzen. Fände sie eine Darstellung von Katharina Zell, wäre dies eine kleine Sensation.
Das Engagement der Kunsthistorikerin, die zweifellos zu den besten Kennern der reformatorischen Bildnis-Grafik zählt, jedenfalls wirkt ansteckend. Vom Lutherhaus in Wittenberg, das naturgemäß den Fokus auf den populärsten Reformator legt, kam positive Rückmeldung und damit Signale zur Unterstützung. Schließlich werden am Ende alle profitieren, wenn Maria Lucia Weigel ihre Ergebnisse in mehreren Begleitpublikationen veröffentlichen wird.